Kirche St. Martin Urloffen
Um 1750 baute die Gemeinde eine neue St. Johanneskirche, wohl am Platz der alten. Schon während des Dreißigjährigen Krieges hatte der Ortspfarrer seinen Sitz aus dem an der Heer-straße gefährdeten Zimmern an die Kirche St. Johannes verlegt. Aber das Pfarrrecht blieb in St. Martin bis 1831; als man in Urloffen begann, die neue Kirche zu erstellen.
Wie bekannt, wuchsen während des 17. und 18. Jahrhunderts die Einwohnerzahlen stark an. 1666 zählte man im Kirchspiel 300 Seelen, 1830 schon 2200. Da der Kirchenraum jedoch nicht entsprechend vergrößert wurde, gerieten die Gläubigen in viel beklagte Not. Weder zwei Frühmeßpfründen noch die Johanneskirche von 1750 schafften Abhilfe. Als dann das Gotteshaus in Zimmern, durch Kriegseinwirkungen verwüstet, profaniert wurde, plante die Kirchenverwaltung eine ganz neue Kirche nun in Urloffen zu errichten. Nachdem die zunächst zäh widerstrebende Bevölkerung durch langes Zureden gewonnen werden konnte, wehrten sich die beiden Schauenburger Freiherrn, die gemeinsam das Patronatsrecht innehatten und daher an Turm, Chor und Sakristei baupflichtig waren, gegen die Abwertung von Zimmern. Während dann die Merzhausener Linie nachgab, musste Lambert von Gaisbach durch Gerichtsbeschluss zum Einverständnis gezwungen werden.
1830 kaufte die Gemeinde den Bauplatz, und der Bezirksbaumeister Voß zeichnete die Pläne. Voß war damals ein bekannter und vielbeschäftigter Architekt. Er entwarf u.a. nicht nur die Illenau in Achern, sondern auch das Schulgebäude in Urloffen, das 2008/09 zu einem Bürgerhaus umgebaut wurde, und die alte Volksschule bei der katholischen Kirche in Appenweier. Als Schüler des berühmten Residenzbaumeisters Friedrich Weinbrenner richtete er seine Arbeit ganz nach dem damals gültigen Stil, dem Klassizismus, aus. Nachdem zwei Jahrhunderte Pracht und Vielgestaltigkeit des Barock und des Rokoko die Kunst beherrscht hatten, suchte man nun das Schöne in der einfachen Darstellung. Aus diesem Gedanken entwickelten Voß, der Generalunternehmer Alois Meisburger von Offenburg und der Stukka- tor Jodok Wilhelm ihre Vorstellungen in der neuen Kirche.
Gewohnt an die vergangene Kunst, muss den Gläubigen die Kirche von 1835 recht karg vorgekommen sein. Bot doch der große viereckige Raum mit seiner Flachdecke den Blicken lediglich die Blätter dreier Altäre als sehenswerte Objekte. Die langen Wände dagegen wirkten, durch Pilasterreihen verstärkt, gleichförmig, waren allerdings im Süden in der ganzen Raumhöhe von einem Stuckkreuz als sinngebendem Bauelement unterbrochen.
Noch waren die Deckenflächen grau und ohne Bilder, der mit eigenen Baumaßen vom Langhaus abgesetzte Chor hinter einem schmucklosen Triumphbogen enthielt lediglich einen kleinen Altartisch vor einem Gemälde des hl. Martin.
Ein liturgisches Programm, nach dem die Altarblätter und Deckenausstattung gestaltet worden sein könnten, sucht man im ersten Bestand vergeblich. Nur einmal wird an den himmlischen Schutzpatron Martin erinnert mit einer allerdings übergroßen Darstellung des Heiligen als altdeutscher Ritter, wie er den Mantel teilt. Es ist eine Kopie nach van Dyk, die Großherzog Leopold der Gemeinde aus dem Vorrat des Rastatter Schlosses geschenkt hatte. Ursprünglich gewährte man ihr den Ehrenplatz über dem Hochaltar, heute hängt sie, zwar gut sichtbar, aber doch abseits, an der Nordwand.
Das Bild der „Heiligen Familie“ des linken Seitenaltars malte Johann Baptist Kirner, ein berühmter Illustrator der Werke des Johann Peter Hebel, er lebte in Furtwangen. Das entsprechende Altarblatt auf der anderen Seite „Der göttliche Kinderfreund“ stammte von Bernhard Endres.
Erst im neuen Jahrhundert, 80 Jahre nach Baubeginn, vollendeten Pfarrer Stöckel und die Stiftungsräte das große Werk. Von den Themen, die sie illustriert haben wollten, hatten sie nun klare Vorstellungen. Josef Wagenbrenner aus Rastatt erhielt den Auftrag, eine Himmelfahrt und Krönung Mariens zu malen. Dieses in der Ortenau sehr beliebte Thema und die Darstellung des Pfingstwunders von August Pfizer nehmen heute einen großen Teil der Langhausdecke ein. Die Verehrung des Altarsakramentes und ein Bildnis der heiligen Cäci- lia, ebenfalls von Pfizer, wurden sinnvoll über dem Hochaltar bzw. der Orgel angebracht. Das Bild des Kirchenpatrons, das ein offensichtlich moderner Künstler anbot, lehnten die Stiftungsräte ab, weil sie den Heiligen darauf nicht finden konnten..
Um die Gemälde auf der ausgedehnten Fläche unterzubringen, teilte man die Langhausdecke in drei Bahnen ein. Das rechte und das linke Feld wurde mit großen gleichen Rosetten gefüllt. Dazwischen ordneten die Künstler, ausgehend vom Triumphbogen, die Darstellungen ein.
Eine nicht leicht zu lösende Aufgabe stellte die Größe des Chorraumes dar. Nachdem das Martinsbild aus Rastatt zur Seite gerückt worden war, richtete Bildhauer Josef Eberle aus Überlingen den heutigen Altar, aus Holz gefertigt, auf. Seine Predella zeigt Menschen aus dem Alten Testament, Melchisedes, Abraham, Josef von Ägypten und Isaias. Auf dem Tisch steht der Tabernakel, flankiert von zwei Reliefs, Maria Verkündigung und Christus am Ölberg. Darüber stehen in einem romanischen Aufbau ein Kreuz über dem Tabernakel und rechts und links davon Heiligenfiguren. Leicht erkennbar an dem badischen Wappen im Schild des jugendlichen Ritters der selige Bernhard von Baden. Neben ihm St. Martin, zu seinen Füßen die Gans, die den Heiligen verriet, als er sich vor der Bischofswahl versteckt hielt. Auf der anderen Seite des Kreuzes der heilige Konrad als Bischof von Konstanz, in der linken Hand hält er einen Kelch, über dessen Rand die giftige Spinne krabbelt, die ihm nichts anhaben konnte, nachdem er ein Kreuz geschlagen hatte. Konrad wurde nach der Gründung des Erzbistums Freiburg (1821) sein himmlischer Patron. Die Reihe wird links abgeschlossen durch den jungen Johannes Evangelist, einen der beiden Schutzheiligen des alten Spitals von Urloffen. Über Tabernakel und Kreuz steht wie im benachbarten St. Michael eines der Sinnbilder für Christus: der Pelikan, der sein Blut den dürstenden Jungen zu trinken gibt.
Dieser Altar jedoch gefiel nicht. Er wirkte verloren in dem großen Raum. Um ihn bedeutender erscheinen zu lassen, vergoldete man ihn und gab ihm das Aussehen eines Metallaltars. Als auch diese Hilfsmaßnahmen nichts brachten, baute man um und über den Altar einen hohen Baldachin. Vielleicht weil man sich an Bekrönungen barocker Hochaltäre erinnerte, erhielt das Dach auf den vier ionischen Säulen eine Gruppe von überlebensgroßen Figuren: die beiden Apostelfürsten Petrus mit dem Schlüssel sowie Paulus mit Buch und Schwert. Zwischen ihnen die Darstellung der Heiligen Dreifaltigkeit. Sie besteht aus seinen einem realistischen Brustbild Gott Vaters mit den Herrscherinsignien und Christus, nicht in seiner menschlichen Gestalt, sondern in seinem Symbol des Gotteslammes. Der Geist, aus der Ferne nicht sichtbar, prangt an der Unterseite der Baldachindecke als gewaltige Taube in einem Strahlenkranz.
Das Bauwerk erreicht zweifellos seinen Zweck, es füllt den Raum, zieht aber auch soviel Aufmerksamkeit auf sich, dass man den Altar selbst darüber fast vergisst.
Keine bautechnischen oder ästhetischen Mängel, sondern theologische Neuerungen schoben während der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts den alten Hauptaltar völlig an den Rand des religiösen Handelns. Die Liturgiereform des zweiten Vatikanischen Konzils forderte grundlegend ein neues engeres Zusammenwirken zwischen Priester und Laien während der heiligen Messe. Wie in vielen Gotteshäusern brauchte man auch in Urloffen einen neuen Zelebrationsaltar, und wie verlangt, stellte man ihn in St. Martin vor dem Triumphbogen zwischen die vordersten Bänke auf. Um jedoch keine allzu große Distanz zum alten Hochaltar entstehen zu lassen, erhöhte man das Bodenniveau, auf dem alle vier Altäre ihren Platz hatten, um drei Stufen und verband so mit einer Art Insel die beiden wichtigsten Teile der Kirche sinnfällig miteinander.
Der neue Altar ist keinem der traditionellen Kunststile verpflichtet, sondern stellt ein eigen-ständiges Werk unserer Zeit dar. Als gestaltendes Symbol verwendete der Bildhauer Michael Huber aus Oberkirch die Wurzel Jesse nach dem Propheten Jesaias, in dessen ausgetrie-benem Laubwerk fünf Heilige als Früchte wachsen. Dabei wählte der Künstler Namen, die den Gläubigen besonders vertraut waren. An erster Steile natürlich den heiligen Martin, aber auch einen der beiden aus der Geschichte der Pfarrei bekannten Patronen des mittelalterlichen Spitals, Jakob den Älteren; sodann Johannes den Täufer, den Schutzheiligen der früheren Dorfkirche, und St Elisabeth, das Vorbild christlicher Nächstenliebe, die vom Urioffener Frauenverein besonders verehrt wurde. Im fünften Heiligen, dem Franziskanerpater Maximi-lian Kolbe, griff Huber ein Problem seiner damaligen Gegenwart auf. 1982 sprach Papst Jo-hannes Paul II. seinen polnischen Landsmann Kolbe heilig, weil er sich im KZ Auschwitz 1941 anstelle eines Familienvaters hatte hinrichten lassen. 1984 wurde der Zelebrationsaltar eingeweiht.
Kehren wir zurück zu den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg mit der wichtigen Renovation. Ein Jahr vor dem Hochaltar wurden die bisher noch fehlenden Kirchenfenster eingebaut. Sie zeigen Geheimnisse des freudenreichen, schmerzhaften und glorreichen Rosenkranzes in der damals typischen Manier der Bibelillustrationen. Sie kamen den Bedürfnissen der Gläubigen sehr entgegen und alle mit einer Ausnahme wurden von kirchlichen Vereinen und Ein-zelpersonen bezahlt. Hergestellt hat die recht gefälligen Fenster die Glasmalerei Protz und Ehret in Freiburg.
Die letzte Renovation der Jahre 2007 und 2008 brachte keine grundsätzliche Veränderung am Bestand. Obwohl sie trotzdem sehr aufwändig war, konnte die Pfarrgemeinde die Unkosten aus eigenen ersparten Mitteln bezahlen.
Literatur
Sauer,Josef: Die kirchliche Kunst der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Baden, in: FDA 32/1931. Kurrus, Theodor: Die Herkunft der Altarbilder in der Pfarrkirche von Urloffen, in FDA 70/1950. Katholische Kirchengemeinde St. Martin Urloffen (Hg.):150 Jahre Katholische Pfarrkirche Urloffen 1835-1985, Urloffen 1985.